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Ursula Maria Probst: Der Raum wird hier zu einem Gegenüber

Die den Raum definierenden Arbeiten von Elisabeth Grübl zielen neben ihren installativen und skulpturalen Methoden auf einen erweiterten Zugang zum Medium Fotografie. Auch in ihren fotografischen Arbeiten bildet der Raum das eigentliche Material. Wer eine ihrer Installationen betritt, befindet sich in einem Raum, dessen Produktion über einen physikalisch oder phänomenologisch definierten Raum hinausgeht. In ihren fotografischen Arbeiten ist der Raum mehr als ein Seh- oder Imaginationsfeld, er geht aus einer gestalterischen Raumkonzeption und speziell gewählten Bildausschnitten hervor. Anders als der fotografische Realismus oder eine direkte Fotografie setzt Elisabeth Grübl diverse Eingriffe durch perspektivische Entzerrungen. Dabei behält sie die frontale Sicht auf den Raum als Ausdruck eines relationalen Austausches zwischen der fotografischen Eingrenzung und räumlichen Ausweitung bei. Der Moment der Aufnahme benennt in ihrem Werk aber auch das Verhältnis der Fotografie als indexikalisches Medium zu seinem außerbildlichen Referenten. Im Unterschied zur inszenierten Fotografie als Simulation oder Konstruktion von Wirklichkeit und im Unterschied zu deren informativem und darstellendem Gehalt geht es hier um die Anwendung der Fotografie als raumdefinierendes Medium.
In ihrem Fotozyklus „Studio Krumau“ (2006) fotografiert Elisabeth Grübl während ihres Atelieraufenthaltes in Krumau das Studio. In frontaler Ansicht mit Blickperspektive von der Mitte richtet sie die Kamera gegen alle vier Wände des sehr hohen Raumes. In den Aufnahmen sichtbar sind die Spuren anderer Künstlerinnen und Künstler, die vor ihr das Studio benutzten: Malerproben auf einer auf der Wand befestigten Pressholzfläche, Tonkisten, ein leerer Zeichentisch. Die Indexikalität künstlerischer Produktionsabläufe im Zwischenstadium eines Danach und Davor gelangt durch die Aufnahmen ins Bild. Der Raum wird durch diese induktive Vorgangsweise als Ort künstlerischer Produktion optisch fassbar. Die Aufnahme aus der Perspektive der Mitte bewirkt eine Entzerrung der räumlichen Proportionen und gleichzeitig ein Aufklappen. Verstärkt wird durch diese Perspektive die Verknüpfung von Raum, Wahrnehmung und zum Einsatz geratender Technik kommuniziert. Der genuine Zeitbezug der Fotografie trifft auf eine Spurenaufnahme. Der Raum bildet dabei eine Kategorie, die ein Nebeneinander des Ungleichzeitigen visualisiert, im Unterschied zur Zeit, die ein Nacheinander benennt. Elisabeth Grübl spannt das Medium der Fotografie hier in einen Polylog. In der Wahl des Bildausschnittes zeigt sich ihre Affinität zu einem minimalistischen Umgang mit Form und Struktur. Diese betrifft auch bildnerische Komponenten, von der intentionalen Lichtführung bis zum Verlauf architektonischer Perspektiven. Gleichzeitig produziert Elisabeth Grübl in ihrem Fotozyklus „Studio Krumau“ (2006) Momente einer absoluten Klarheit gegenüber dem Flüchtigen unseres Seins.
Im Unterschied zu einem für die Konsumation von Kunst freigegebenen Raum und einem „Alles auf einen Blick Begreifen“-Zustand treffen wir in den Fotografien von Elisabeth Grübl auf komplexe Fragestellungen über die Transformation von Orten in Räume. Der Ort ist schon da, ehe das Nachdenken über ihn einsetzt, so Aristoteles, (1) der davon ausging, dass alles seinen Ort hat, wie es im 4. Buch der Physik heißt. Andererseits galt der Ort als abstrakt, immateriell und ideell. Sonst hätte man keine zusammenfassenden Begriffe wie  topos oder  situs verwenden können. Die Skulptur im erweiterten Feld oder, wie es die amerikanische Kunsthistorikerin Rosalind E. Krauss (2) nannte, im „expanded field“, bezieht sich nicht auf bereits bestehende Orte. Die daran geknüpfte Ortsspezifität wies zunächst darauf hin, dass Orte markiert und definiert wurden, die es als solche nicht gab. Auf das ortsbildende Vermögen der bildenden Kunst bezog sich auch der Philosoph Martin Heidegger (3) in seinem Essay „Die Kunst und der Raum“ (1967). Abgesehen von ihrer Schärfe im Umgang mit den Begriffen Ort und Raum, findet Elisabeth Grübl in der Realisierung präzise fotografische Methoden.
Der Schauplatz der Fotografie „O.T.“ (2006) ist eine Metrostation in Budapest, sie erinnert an die Ästhetik jener Übergangsräume, die der französische Anthropologe Marc Augé (4) als Nicht-Orte bezeichnete. Von diesem Begriff ausgehend, stellte Augé Überlegungen an, die er bis zu einer „Ethnologie der Einsamkeit“ trieb. Zu sehen ist eine Metrostation, im Getriebe der Großstadt verharren die Menschen hier im Zustand des Wartens. Anonymität bestimmt ihre sozialen Beziehungen. Die Aufnahme dieser am Bahnsteig wartenden Personen wirkt wie die eingefrorene Inszenierung einer Performance, de facto handelt es sich um eine real vorgefundene Situation. Im Unterschied zur inszenierten Fotografie, wie wir sie von Jeff Wall kennen, gelingt Elisabeth Grübl diese Aufnahme aus einer alltäglichen Situation heraus. Die Wahl des Bildausschnittes, die einen Nicht-Ort in ein räumliches Gefüge transformiert, wird von analytischer Distanz bestimmt. Ohne den Distanz voraussetzenden Blick wäre der Raum so nicht sichtbar.
Fragen der Definition des sozialen Raums und physischer Raum werden hier einander gegenübergestellt. Während der physische Raum eine Objektivierung zur Analyse materieller Verhältnisse und deren Relationen zueinander bildet, wird der soziale Raum für die Beschreibung gesellschaftlicher Relationen oder zur Erfassung unserer Beziehung zum Raum relevant. Der Soziologe Pitirim A. Sorokin (5) prägte als einer der ersten den Begriff des „sozialen Raumes“, als er zwischen sozialem und geometrischem Raum unterschied: Der soziale Raum definiert sich durch die Beziehungen zwischen Menschen beziehungsweise Menschengruppen oder auch durch deren Nichtbeziehung. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu (6) hat diesen Begriff weiterentwickelt. Sozialer Raum ist für ihn eine relationale Anordnung von Menschen im permanenten Verteilungskampf, eine gesellschaftswissenschaftliche Abstraktion
In der Laserinstallation „Scanner“ (2006, gemeinsam mit Manfred Grübl) wird durch die Projektion einer vertikalen roten Linie, die sich langsam hin- und herbewegt, ein vordefiniertes Feld im Raum abgetastet. Gebündeltes Licht scannt rohe Betonwände an Orten wie Unterführungen oder Betonbunker ab. Dieses Abscannen des Raumes gestaltet sich als subtiler Eingriff und verweist durch den kontinuierlichen Verlauf der Linie auf die Prozesshaftigkeit in der Produktion von Raum durch Relationen und Distanzen. Die Installation übersetzt ins Räumliche, wie die Grenzen zwischen realem und imaginärem Raum in unserer Wahrnehmung sich überschneiden. Der Diskurs über den produktiven Blick und über die Veränderungen unserer Definition von Raum durch die heute verfügbaren Medien und Apparaturen erhält hier weitere Komponenten, durch das Aufeinandertreffen von Raumerfahrung, Sehen und Visualisierung, Performativität und Rezeptivität. Konsequent wird eine Situation hergestellt, in der ein unmittelbares „Begreifen“ von Raum einsetzt. So wird eine Dialektik des Sehens generiert, die zwischen Fläche und Tiefe, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Präsenz und Absenz changiert. Gleichzeitig entsteht ein individueller Raum, im Gegensatz zum verallgemeinerten, „normativen“ Raum.
Man muss sich die Bedeutung dieses Schritts klar machen. Die Minimalisten hatten mit ihren Objekten die Illusion verlassen und den Raum selbst zum Thema gemacht. Die Land-Art-Künstler waren nach draußen gegangen und hatten mit den Materialien der Natur gearbeitet. Die Fotografie „O.T.-Ostia“ (2007) von Elisabeth Grübl zeigt den Strand am Meer bei Ostia in der Nähe von Rom. In einem aus langen Metallstangen in seinen Umrisslinien konstruierten Quader steht eine Person mit dem Rücken zu uns gewandt und blickt gegen den Horizont aufs offene Meer hinaus. Die Metallkonstruktion, ein Relikt des sommerlichen Strandlebens, formiert sich durch die Blickperspektive zu einem geometrischen Raster, bildet durch Abstände und Distanzen räumliche Koordinaten und setzt diese in Relation zueinander. Erneut zeigt sich die kompositorische Affinität des fotografischen Bildes zu Elisabeth Grübls skulpturalem, minimalistischem Zugang zur Realität. Gleichzeitig kontert sie damit auf das Schrumpfen des Raumes in unserer Wahrnehmung und unserem Bewusstsein. Anders als im Raum, den Michel de Certeau (7) als „dynamisch“ definiert, treffen wir hier auf den Ort als „statischem“. Während sich, so Certeau in seinem Buch „Praktiken im Raum“ (1980), der Ort aus momentanen Konstellationen von festen Punkten zusammensetzt, die den „Platzierungen“ bei Michel Foucault (8) entsprechen, ist sein Raum ein Ort, mit dem etwas geschieht. Er entsteht durch Handlungen und in der Behandlung, etwa durch die Aktivität des Gehens oder Begehens. Zwar geht laut Michel de Certeau die Erzählung der Handlung als deren Legitimierung und Begründung voraus; aber beide definiert er als Formen der Aneignung, die Orte in Räume und Räume in Orte verwandeln können. Certeau versteht das Veränderungspotenzial von Räumen an das Reale gebunden. Elisabeth Grübl definiert ihre Praktiken im Raum ebenfalls entlang eines dualistischen Schemas. Die Fotografie „O.T.-Ostia“ zeigt Charakteristiken der Entfernung und Ausrichtung. Der Ausdruck Entfernung wird hier in einem aktiven und transitiven Sinn angewendet. Entfernen beinhaltet paradoxerweise ein Verschwindenmachen der Ferne, das heißt der Entferntheit von etwas. Das umsichtige Inderweltsein ist ein räumliches, bildhaft-synoptisches, das darauf verweist, wie das Reale sich relational verhält. Der Raum wird hier zu einem Gegenüber.
(1) Hans Günter Zekl, Aristoteles' Physik., Hamburg 1987.
(2) Rosalind E. Krauss, Sculpture in the Expanded Field, in : October 8, 1979, wiederabgedruckt in: The Originality of the Avant-Garde and Other Modernist Myths, Cambridge/MA 1985, S 276 – 290. Deutsch. Skulptur im erweiterten Feld, in: Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, hrsg. und mit einem Vorwort von Herta Wolf, Amsterdam/Dresden 2000, S. 331-346
(3) Martin Heidegger , Die Kunst und der Raum, St. Gallen: Erker, 1969
(4) Marc Augé, Orte und Nicht-Orte, Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit, Frankfurt, 1994
(5) Pitirim A. Sorokin, Social Mobility, New York 1959 (orig.1927)
(6) Pierre Bourdieu, Sozialer Raum und „Klassen“,  Frankfurt am Main, 1991
(7) Michel de Certeau, Praktiken im Raum, Kunst des Handelns, 1980, aus dem Französischen von Ronald Voulllié, Berlin: Merve 1988
(8) Michel Foucault, Andere Räume, in: Martin Wentz (Hrsg.)Stadt-Räume, Frankfurt am Main, 1991, S. 65-72.
 
 
Das Studio als Raumskulptur und konzeptuelle Fotografie
„Ausgangspunkt dieser Arbeit sind Ateliers von Künstlerinnen. Alles was sich im Raum befindet, dass heißt Kunstwerke, Materialien und Möbel, werden zu einem Quader verdichtet. Wenn am Ende alles zu dieser Form von Skulptur gestapelt wurde, ist der gesamte Arbeitsraum bis auf den Quader leer, es zeigt sich eine völlig veränderte Raumsituation. Als Resultat aus diesem Prozess entsteht jeweils eine frontale Fotoaufnahme.“
Die Methode ist nachvollziehbar, die Strategie gestaltet sich komplex: In Ateliers und Studios anderer Künstlerinnen und Künstler realisiert Elisabeth Grübl mit deren Materialien, Werkzeugen, Alltagsgegenständen, mit allen im Studio vorgefundenen Dingen sowie mit den Kunstwerken, die im Atelier gelagert oder in Produktion sind, einen Quader mitten im Raum. Das verfolgte Konzept variiert je nach Raumsituation. Jeder im Raum befindliche Gegenstand wird konsequent in die Stapelung und je nach physikalischen Eigenschaften in den skulpturalen Quader integriert. Die Textur des Gebrauchs der Dinge weicht einem reduzierten und präzise vorgehenden gestalterischen Konzept, das die Nuancen und Konturierungen zu einem Quader zusammenfügt. Weiterhin korrespondieren die Gegenstände auf einer abstrakten, ihrer Funktion entzogenen Ebene miteinander, und bilden Angriffsflächen für Projektionen und Imaginationen.
In Elisabeth Grübls künstlerischer Praxis sind visuelle und räumliche Parameter der Wahrnehmung oft eng aufeinander bezogen. Sie ist eine Raumdenkerin: Ihre Konstruktion des skulpturalen Quaders vollzieht sich parallel zur Destruktion der vorgefundenen Syntax des Studios als Produktions- und Lebensraum. Mit dem Mitteln der Überwindung, Aufhebung und Abstraktion proklamiert sie durch die Setzung ihres Quaders das Konkrete im Raum, das, ins Medium der konzeptuellen Fotografie übersetzt, als Frontansicht eine strukturelle Entschiedenheit demonstriert. Während in den Anfängen der Studioserie sich die im Raum befindlichen Gegenstände an der Wand stapelten, baut sie später einen mitten im Raum oder an der Wand stehenden Quader. Die Relationen zwischen Raum und Objekten erfahren durch diese Gegenüberstellung von Leere und Verdichtung eine Intensivierung. Die Phänomenologien minimalistischer Projekte werden damit um den Aspekt einer Materialsprache erweitert, die sich aus der Studiosituation ableitet. Mit dem Quader hinterfragt Elisabeth Grübl eine Grundfigur moderner Rationalität. Doch ihr Quader ist nicht hermetisch in sich geschlossen, lässt Möglichkeiten für ein Denken der Differenz offen
Um die Erfahrung zu beschreiben, wie es ist, einen Raum zu betreten, der zur skulpturalen Installation geworden ist, fällt mir kein besserer Vergleich ein als jener den Bruchteil eines Augenblicks andauernde Zustand, in flüchtigen Momenten gewohnter Wahrnehmungsabläufe plötzlich in völliger Konzentration zu verweilen. Man wird Zeuge einer Verdichtung im raumzeitlichen Kontinuum der sensorischen Wahrnehmung. Die Faszination geht von einer körperlichen Wahrnehmung aus, die Vernunft gewinnt schnell die Kontrolle zurück. In den Skulpturen der Studios kehren sich die räumlichen Koordinaten um und lassen uns für einen Augenblick den Raum intensiv spüren.
Laut Brian O’Dohertys 1976 erschienenem, legendärem Essay „Inside the White Cube“ ist der White Cube die einzige bedeutende Konvention des Kunstlebens. Eine Ansicht, die sich als überholt erweist, wie Elisabeth Grübl durch ihre Raumskulpturen zeigt. Die Zelle der Galerie und des Museums rückte in ihren Werkzyklen wiederholt ins Zentrum ihrer künstlerischen Aufmerksamkeit. Und zwar in mehrfacher Hinsicht als Interventionen, die die damit verbundenen Ausstellungskonventionen oder deren gesellschaftliche Funktion auf den Kopf stellte. Jede Erfahrung eines Kunstwerks hängt zusammen mit seinem Ambiente, mit dem Ort seiner Realisierung. In ihren Skulpturen nimmt Elisabeth Grübl eine Verschränkung im buchstäblichen Sinn vor: Sie wählt das Studio anderer Künstlerinnen und Künstler und damit jenen anderen Ort, der für die Öffentlichkeit meist unzugänglich und für künstlerische Eingriffe anderer tabu ist. Hier realisiert sie eine ortspezifische Arbeit, die gleichzeitig im doppelten Sinn auf den Kontext einer Raumdefinition verweist. Dafür ist zunächst ein phänomenologischer Raumbegriff zutreffend, dem zufolge der Raum dem Ort nicht vorgängig ist, wovon der mathematisch-physikalische Raumbegriff ausging, sondern sich umgekehrt erst durch den Ort erschließt, der den Dingen in der Praxis eine Lebensform zukommen lässt. Dieser durch die Dinge lebensweltlich eingeräumte Raum ist ein von Bedeutung durchzogener Raum, der zu einer jeweiligen Welt gehört. Die Zweideutigkeit liegt im Begriff des Einräumens, der sich als Hinweis auf eine Eigenart der Kunst gegenüber den gewöhnlichen Dingen verstehen lässt. Die Skulpturen korrespondieren mit der Umgebung, mit dem Umraum, insofern als es die Gegenstände im Raum sind, die der Produktion zugrunde liegen, und keine Unterscheidung zwischen Gebrauchsdingen und Kunstwerken getroffen wird, sondern eine Übereinkunft der Vertrautheit und des Vertrauens sich einstellt. Das Darstellungspotenzial der Skulptur hängt von den vorgefundenen Gegenständen ab. Die daraus resultierenden Raumskulpturen folgen nicht der Logik, dass die künstlerische Arbeit die Umgebung semantisch auflädt, sondern dass durch diese ein anderer Kontext produziert wird, der gleichzeitig auf ein Strukturelement von Kunst aufmerksam macht. Durch dieses Moment wird das kritische Potenzial ortspezifischer Kunst nicht geleugnet, sondern erhält eine präzisere Bestimmung und Definition. Gleichzeitig wird, im Sinne des französischen Poststrukturalisten Jacques Derrida, durch das weitere Einbeziehen der Fotografie eine verflochtene Korrespondenz zwischen Werk und Betrachter in Gang gesetzt. Einer Homogenisierung des Raumes als Kubus tritt hier ein „differentieller“ Raum gegenüber. Als „differentieller“ Raum behält die Raumskulptur Eigenheiten bei, die nicht durch den Filter des homogenen Raums gegangen wären. Gleichzeitig entwirft Elisabeth Grübl so ein differenziertes Netz von Beziehungen, die einen Raum im Inneren und im Verhältnis zum Außen ausmachen können.
Gewöhnlich bilden Künstlerateliers Manifeste der eigenen künstlerischen Produktion oder dienen, sobald sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, als Instrument der eigenen Selbstinszenierung. Im Unterschied zum Ausstellungsraum eines White Cube ist das Atelier niemals ein neutraler Präsentationsort, sondern vorwiegend Produktions- und Denkraum. In der Funktion einer Visitenkarte verwendete einst Gustave Courbet das Atelierfoto, Bruce Naumann nahm ein „Mapping the Studio“ vor, indem er sein Atelier zu verschiedenen Tageszeiten mit der Videokamera filmte. 1998 listete Bruce Naumann akribisch die Materialansammlungen im Atelier auf, von Kaffeetassen über Pinsel, Papier, Videokassetten bis zum Sattelzeug. Elisabeth Grübls Projekt hat allerdings nicht den Charakter einer Enthüllungsgeschichte. Gegenüber der Auffassung vom Atelier als Ort des kreativen Schaffens, als Rückzugsort oder als auratischem, mit Mythen und Genievorstellungen besetztem Raum gelingt es ihr, einen bis dato in der Atelierfrage vernachlässigten Diskurs einzubringen. Was passiert, wenn das Atelier als Raumskulptur zum zentralen Thema wird? Dieser Blick in das Studio operiert mit bestimmten räumlichen und zeitlichen Vorgaben und offenbart dessen Grenzen. Die temporären Installationen können betreten werden, und im Medium der Fotografie dauern sie fort. Der genauere Blick der stringenten Frontalaufnahme verweist auf weitere Fragen und Referenzen. Wie lassen sich Skulptur und Raum anders denken? Wie lässt sich in der Übertragung auf die konzeptuelle Fotografie Skulptur denken? Die konzeptuellen Fotografien von Elisabeth Grübl zeichnen sich durch einen interventionistischen Umgang in der Codierung spezifischer künstlerischer Verfahren mit ästhetischen Medien, Materialien und Traditionen der konzeptuellen und minimalistischen Skulptur aus. Ihr künstlerisches Verfahren, alle im Studio vorgefundenen Gegenstände und Kunstwerke der jeweiligen Künstlerin oder des Künstlers zu stapeln, folgt einer Abstraktion in der Gestaltung und integriert Fragen der Originalität und Autorschaft. Denn auf den ursprünglichen Zustand des Ateliers können am Ende kaum noch Rückschlüsse gezogen werden. Elisabeth Grübl entwickelt damit eine raumspezifische Form der Kunstproduktion, die üblichen Re-Präsentationsformen gegenüber einen Transfer und damit eine Verschiebung unserer Rezeptionsmuster vornimmt.
Daraus ableiten ließe sich, im Sinne des Raumtheoretikers Henri Lefebvre, dass Elisabeth Grübl dem Begriff des sozialen Raums durch die Komplexität ihres Quaders eine formale Verdichtung gegenüberstellt. Anders als Raumkonzeptionen, die zu einem System verbaler oder konzeptuell geformter Zeichen tendieren, produziert sie einen skulpturalen Körper, der nun die Beziehungsgeflechte im Raum neu definiert. Und gleichzeitig, durch seine Ableitung aus dem Gelebten, Wahrgenommen und Konzipierten, entsprechende Impulse und Resonanzeffekte auslöst. Geläufigen KünstlerInnenporträts entsprechend, schafft Elisabeth Grübl das Porträt einer Studiosituation. Mit ihrer Studioserie, die sie während ihrer Aufenthalte in Frankfurt und Shanghai, aber auch in Wien realisiert hat, schuf sie gleichzeitig individuelle Porträts der KünstlerInnen. Die allerdings selbst in den frontalen Aufnahmen abwesend sind.