english
Ursula Maria Probst: Be a bad girl
Welche Rolle wird einer Künstlerin oder dem Künstlersubjekt im ästhetischen, politischen und ökonomischen Feld des Kunstbetriebs heute zugeschrieben? Und wie kann unter dem Druck einer durchgreifenden Kommerzialisierung des Alltags Einfluss auf die ästhetische Produktion der Gesellschaft genommen werden? Elisabeth Grübls Reaktionen auf potentielle künstlerische Betätigungsfelder sind von neokonzeptuellen Überlegungen geprägt, die mit der Entgrenzung institutioneller Vorgaben durch architektonische Interventionen ebenso konfrontieren, wie durch Videoproduktionen mit den in diesem Kontext wirkenden medialen Strukturen. Ihre formal reduzierten Installationen und Interventionen stellen den herkömmlichen Werk-, Kunst- und Autorbegriff in Frage, indem sie die Prozesse der ästhetischen Erfahrung exemplarisch transformieren. Zentrale Aspekte ihres Werks betreffen das Phänomen der Wahrnehmung sowie das Konzept und die Darstellung von Realität im Spannungsverhältnis von Medien und Kunst. Elisabeth Grübls künstlerische Strategien gegenüber Blickregimen, Verhaltensnormen und Kontrollmechanismen werden durch den jeweiligen institutionellen und öffentlichen Kontext mitdefiniert.
In der Videoproduktion „One Hour Elevator“ (2000) postiert Elisabeth Grübl ihre Videokamera in einem Fahrstuhl im Mediendepartment eines Fabrikgebäudes in Helsinki auf einem Fixstativ. Die in den Fahrstuhl ein- und aussteigenden Passagiere werden über einen Zeitraum von einer Stunde nonstop gefilmt. Die Anwesenheit der Kamera scheint das Geschehen absolut nicht zu beeinträchtigen. Auch wenn einzelne Liftpassagiere bisweilen nervös reagieren, irritiert sie die direkte Konfrontation mit einer laufenden Kamera nicht weiter. Die statische Positionierung der Kamera erinnert an Andy Warhols legendären Film „Empire“ (1964), der acht Stunden lang in derselben Einstellung das Empire State Building aufnahm, während sich lediglich das Tageslicht veränderte und infolgedessen der „Real Time“ Faktor das Zeitempfinden bestimmte. Im Gegensatz zu dem dadurch ausgelösten Gefühl des Stillstandes steht im Video von Elisabeth Grübl die Geschäftigkeit der ein- und aussteigenden Fahrstuhlpassagiere. Szenarien von Überwachung und Kontrollmacht werden durch den mediatisierten Blick der Kamera wachgerufen. Dieses Projekt thematisiert, wie moderne räumlich-situative Kontrollmodi durch Überwachungskameras im Alltag funktionieren und wie kaum jemand von den Betroffenen dagegen protestiert. Die expliziten Kontrollsysteme, mit welchen Fabrik- und Bürogebäude heute zunehmend ausgestattet sind, wurden bereits von Gilles Deleuze – in seiner Publikation „Postskriptum über die Kontrollgesellschaften“ 1) – mit dem von ihm diagnostizierten Übergang von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft vorweggenommen. Dieser Übergang, der durch die Übernahme vormals staatlicher Sicherheitsaufgaben durch private Unternehmen gekennzeichnet ist, leitet einen Paradigmenwechsel ein. Elisabeth Grübl thematisiert in ihrem Video „One Hour Elevator“, wie der „paranoid chic“ der Überwachung zu einem fixen Bestandteil des urbanen Lifestyles geworden ist. Die im Kontext von Kontrolltechnologien ursprünglich negativ besetzten Bilder von Überwachungskameras, die als Folgeerscheinungen von Terroranschlägen ihre sicherheitspolitische Legitimation erwarben, werden heute zunehmend zu Symbolen eines neuen, selbstbewussten, urbanen Lifestyles umgedeutet. Dieses absurde Phänomen eines übersteigerten Sicherheitsbedürfnisses wird von Elisabeth Grübl in ihrem Video „One Hour Elevator“ aufgegriffen. Die tendenzielle Privatisierung öffentlicher Räume hat zu einer Segmentierung der Territorien und ihrer Kontrolle geführt.
Infolgedessen wird auch das Individuum zunehmend mit seiner fragmentierten Identität konfrontiert. In ihrem Video „Scan“ (2000) reagiert Elisabeth Grübl auf den heute weitgehend technisierten und dematerialisierten Bildtransport mit einem ausgeklügelten computerisierten Rechenvorgang, der in der visuellen Umsetzung einen Scanvorgang simuliert. Wie durch einen Scanner wird das Gesicht der einzelnen gefilmten Personen nur durch einen schmalen Streifen sichtbar, der sich kontinuierlich von oben nach unten bewegt. Der produktive Blick, welcher die Eigenzeit ästhetischer Erfahrung ermöglicht, wird so visualisiert und infolgedessen jener Binarismus dekonstruiert, der davon ausgeht, dass Identität, Anmut, Schönheit und Stil in einem begrenzten Rahmen gedacht werden. Sobald wir eine unbefristete Identifikation mit der Idealität der Schönheit eingehen könnten, wären wir nicht länger Subjekte des Begehrens. Der Diskurs über die Dekonstruktion der Identitäten hat gezeigt, dass es keine Natur als solche, sondern nur Prozesse der De- und Renaturalisierung und keine Identität als solche, sondern nur ein Identifizieren gibt. Die Art, wie Elisabeth Grübl den rechnerisch ausdifferenzierten Scanner einsetzt, ist allerdings eher diskursiv als metaphorisch angelegt. Auf der einen Seite wird das Bild zerlegt und refunktionalisiert, um desto effektiver mit dem Scanvorgang interagieren zu können, auf der anderen Seite wäre es allerdings theoretisch kurzschlüssig, dies als ein Projekt der Entkörperlichung zu betrachten. Vielmehr stehen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Sehen und Visualisierung, Performativität und Rezeptivität zur Disposition. Die Sensoren einer anwesenden/abwesenden Bildexistenz verbinden hier spezielle Felder visueller Kultur, die sich mit der Struktur von Blickfeldern zwischen Alltagskultur, Kunst und Computerprogrammierungen beschäftigt. Die psychologische und kulturelle Bedeutung von Bild- und Schnitttechniken wird in der konsequenten visuellen Demontage des Bildmaterials deutlich, ohne dabei den Ausgangspunkt einer narrativen Sensation zu bilden. Die emphatische Gleichsetzung des Scans mit der weißen Bildfläche verneint buchstäblich die Identität und alle identifikatorischen Details zur Erkennung der gefilmten Personen. Wir finden uns in solchen Bildern nicht wieder oder besser: wir wollen uns nicht dort finden. Durch diese absichtliche Inauthentizität wird jeder Idealisierung entgegengewirkt, wie sie tendenziell durch Porträtaufnahmen ausgelöst wird. Laut der Medientheoretikerin Kaja Silverman gibt es grundsätzlich kein ideales Subjekt und genau dieser These ist Elisabeth Grübl auf der Spur.
Spürsinn beweist Elisabeth Grübl durch ihre Interventionen im öffentlichen Raum, in dem sie sich, an der Schnittstelle zwischen Kunst und Design, bewegt. Wie kann man auf männlich konnotierte Werbekampagnen im öffentlichen Raum reagieren, wenn ein Friseursalon den irritierenden Namen „BE A GOOD GIRL“ als Schriftzug auf seinem Schaufenster appliziert? Unter dem Druck von Kommerz und Konsum werden nicht nur die Lebensbedingungen schwieriger, sondern nimmt die visuelle Umwelt auch zunehmend Einfluss darauf, wie sich Images aufbauen und die eigene Subjektivität erfahren wird. Das Unbehagen, das der Slogan „BE A GOOD GIRL“ hervorruft, wird von Elisabeth Grübl nicht als politisch irrelevant abgetan, sondern hat ein Projekt zur Folge, das sich mit den semantischen Strukturen auseinandersetzt, aus welchen Handlungsprinzipien, Konventionen, Denk- und Machtstrategien resultieren. Als Gegenoffensive zu „BE A GOOD GIRL“ transformiert Elisabeth Grübl in einer nächtlichen Aktion in Kooperation mit Sabine Heine den Schriftzug in den provokanten Aufruf „BE A BAD GIRL“. Als feministisch motiviertes Werk wird hier auf die Erfahrung von bedrohlichen Uneindeutigkeiten reagiert und eine Umgestaltung des weiblichen Images exemplarisch durch die Radikalisierung des Aneignungsprozesses vorgenommen. Die sprachliche Stilisierung des Anderen durch die Phrase „BE A GOOD GIRL“ assoziiert soziale Identität, welche augenblicklich stereotype Bilder auslöst. Soziale Zuschreibungen bestimmen die Realität menschlichen Lebens und schaffen Rollenmodelle, die Verhaltenssicherheiten anbieten und Verhaltenscodes immer genauer festlegen. Angesichts einer sozialen Umwelt, die Identität durch antizipierte Erwartungen der Anderen ebenso wie durch das Begehren des Individuums charakterisiert, entscheidet sich Elisabeth Grübl für Letzteres. War es bisher enttäuschend, dass feministisch agierende Künstlerinnen die soziokulturellen Dimensionen des „schlechten Benehmens“ von Mädchen als problematisch wahrnahmen, so startet das Projekt „BE A BAD GIRL“ einen provokanten Aufruf zur Coolness, ohne Gefahr zu laufen, sich auf eine affirmative Rebellion zu reduzieren. Eigensinn und Widerstand sind hier die Schlüsselbegriffe dafür, wie von Elisabeth Grübl und Sabine Heine semantische Symboliken aus dem Alltäglichen ausgewählt und dekonstruiert werden. Die dadurch entstehende „Image-Kommunikation“ vermittelt sich über mediale Symbolspuren. Dekomposition trifft hier auf die Rekonstruktion gesellschaftlicher Missstände durch ein semantisches Montageverfahren. Ein raffiniert gesetzter Switch von der Rezeptions- auf die Produktionsseite wird so in Gang gesetzt. In der Inszenierung eines Übertragungsaktes zur Auslösung von Identifikationscodes nutzt das Projekt „BE A BAD GIRL“ neben soziokulturellen auch neokonzeptuelle Ansätze. Die Betrachterin wird aus ihrer Passivität befreit, das Kunstwerk aus seiner Werkform und die Künstlerin aus ihrer Autorschaft. Man könnte dies die Befreiungsthese nennen, die in den Projekten von Elisabeth Grübl einer erneuten Analyse unterzogen wird und über die Betrachterlogik des „offenen Kunstwerks“, die vom Imperativ des Mitmachens begleitet wird, hinausgeht. Eine „Ökonomie der Aufmerksamkeit“, die eine „Emanzipation der Kunstkonsumentinnen“ einfordert, wird dadurch in Bewegung gesetzt..
Visuelle Programmierungen im öffentlichen Raum zirkulieren auf unterschiedlichste Weise. Häufig trägt man sie mit sich herum, entweder als T-Shirt Aufdruck, als Aufkleber oder als Plastiktasche. Eine Auflage von 10.000 Plastiktaschen in Silberfolie mit der Aufschrift „GRÜBL & GRÜBL“ wird im Projekt „O.T. Social Study, Personal Installation“ zum tragbaren Emblem für eine künstlerische Corporate Identity, welche die individuelle Künstlerseele hinter sich zurücklässt. Als Reaktion auf den Logozentrismus der Werbebranche wählen Elisabeth und Manfred Grübl ihren Namen als Markenzeichen. Zu den Mitwirkenden in diesem Projekt, das 1999 von Elisabeth und Manfred Grübl anlässlich einer Ausstellung in der Wiener Galerie Trabant organisiert wurde, zählten unter anderen Museen, Buch- und Plattenläden und ihre KonsumentInnen, durch deren Vertriebsystem eine performative Vernetzung im öffentlichen Raum stattfand. Kritisch fokussiert wurde in diesem partizipatorischen Projekt die wechselseitige Abhängigkeit von Kunst, Konsumdenken und Sponsoring. Im Hinblick auf die Ökonomien materieller Kultur wurden erneut die Grundlagen des realen und imaginären Tausches von Kunstobjekten schlüssig hinterfragt. Gleichzeitig wurde von Elisabeth und Manfred Grübl die Frage aufgeworfen, wie sich KünstlerInnen heute gegenüber Vermarktungsmanövern und einer supplementären Ästhetisierung immun zeigen können. Die Einsicht über den zunehmenden Verlust von symbolischem Kapital innerhalb der kunstbetrieblichen Marktlogik wirkt als Antrieb für diesen Diskurs. Die Beobachtung, dass selbst Projekte, die zum Genre „Kunst im öffentlichen Raum“ gezählt werden, sehr schnell zu einer Demokratiesimulation werden können, bleibt von Elisabeth Grübl und Manfred Grübl nicht unkommentiert. Der häufig propagierten Problematik von Kunst im öffentlichen Raum wird mit dem Projekt „Nightliner“ (2000), einer Installation im Stadtraum Innsbruck, ein gelungenes Projekt gegenüber gestellt, das sich jeder hohlen Rhetorik entzieht. In dieser Intervention von Grübl & Grübl wird durch die künstlerische Gestaltung von öffentlichen Linienbussen mit blauem Innenlicht ein sich vernetzendes Leitsystem durch die Stadt gebildet. Die Aufarbeitung des aktualisierten kunsthistorischen Begriffs der site specifity, wie er schon seit den 60er Jahren in den USA verhandelt wird, wird hier durch jenen der Mobilität erweitert. Von Maja Damjanovic als Projekt „The Invisible Touch“ vom Innsbrucker Kunstraum initiiert, fuhren die Nightliner ein Jahr lang durch die Stadt und durchzogen so die urbane Topografie mit ihrem blauen Lichtnetz.
In den Projekten von Elisabeth Grübl spiegelt sich die aufkeimende Logik einer Taktikerin wider, die in ihrer Untersuchung unterschiedlicher Interventionstypen, die Möglichkeiten der künstlerischen Autonomie, des Widerstandes und der Kritik an autoritären Systemen mitreflektiert. Dabei begibt sie sich auf die Suche nach einem Ausweg aus dem Dualismus des Realen und seiner Repräsentation. Das Werk ist kontextuell angelegt, einzelne Projekte lassen sich immer wieder aufeinander beziehen, sodass es im Lauf der Zeit zu einer Verdichtung der Elemente kommt. Das Prinzip der Prozessualität ästhetischer Erfahrung rückt Elisabeth Grübl mit ihren Projekten vor die Idee ästhetischer Autonomie. Für eine neue Sicht von Betrachter- und Rezeptionsverhältnissen setzen sie radikale Impulse.
1) Dieser Essay erschien als Erstes in L'Autre journal, no. 1 (May 1990)