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Susanne Neuburger: Der rote Teppich, die grüne Wiese
Welchen Diskurs führen diese knappen, reduktiv gehandhabten Formen und Körper? Modellhaft scheinen sie auf ein (anderes) Reales zu rekurrieren, in äußerster Straffung und absichtsvoll vereinfacht an dessen Funktion und Bedingungen gemahnend. Sind sie Exempel und so allgemeingültig daseinsbedingt, wie wir alle – so etwa Gordon Matta-Clark – in einer Stadt leben, deren gesamte Struktur von Architektur bestimmt ist und wo Eigentum die Grenzen setzt? 1) Geht es um zu überbrückende Ent­fernungen, um Zerstreutheiten, deren geographische Distanz – wie Guy Debord – mit spektakulären Trennungen im Inneren antwortet? 2) Und diese sind mit einem Hang zur Immaterialität, zur negativen Form ausgestattet? Ist es ein (versteckter) weiblicher Diskurs? Und wo bleibt der eigene Körper?
In ihrem Ansatzpunkt scheinen Elisabeth Grübls Arbeiten quasi Rekonstruktionen: eine exemplarische und architekturgebundene Position Skulptur mit negativen und unbenannten stereometrischen Körpern, deren komplementäre Ergänzung die Masse und Schwere wäre. Sie definieren sich über ihre Grenzen, ganz ohne das sogenannte „erweiterte Feld“ der Skulptur der letzten Jahrzehnte oder deren kategoriale Dehnbarkeit zu strapazieren. Auch alle (genauso vorhandenen) Erweiterungen ins Performative, Narrative, Beiläufige sind nicht so bestimmend wie eben die Grenzen, die als Be- und Entgrenzungen den Raum konstruieren und die in einem Weniger an Objekthaftigkeit oft zu spektakulären Trennungen werden. Wenn die Künstlerin etwas „aufbaut“, hat sie bereits auch „abgebaut“, lakonisch wirkt es manchmal, aber ohne Erinnerung und bourgeoisen Fortschrittsglauben ausgestattet. Entstehende innere Räume sind oft leer und zerstreut, die Grenzen sind manchmal massive Barrieren, manchmal unsichtbare oder ganz luzide Trennwände, wie in jener virtuellen Skulptur (1994 gemeinsam mit ihrem Bruder, Manfred Grübl, entstanden) in der Landschaft, in der eine Figur, jeweils um 90° gedreht, die Eckpunkte eines Vierecks bezeichnet und entlang der imaginären Linien ein Volumen suggeriert ist, das nicht da ist und doch ganz real stattfindet.
Anfangs haben die Grenzen noch die menschliche Figur im Auge: Anläßlich der „Jungen Szene 1991“ in der Secession – ihre erste Ausstellungsbeteiligung, seit einem Jahr ist Elisabeth Grübl an der Akademie bei Bruno Gironcoli – zeigt die Künstlerin vier Arbeiten aus Eisenblech, zwei etwa menschengroße Paare. Trotz aller mathematischen Exaktheit und scharf gezogenen Kanten und Linien wirken sie wie anthropomorphe Modelle eines Paares. Durch den schrägen Schnitt erfolgt eine Öffnung in den Raum, das versteckte Volumen (das ja leer/unsichtbar ist) wird zwar im Inneren unter Verschluß gehalten, kippt sich aber nach außen, um am äußeren Raum partizipieren zu können. Die Grenzen, die die Macht über Ein- und Ausschluß haben, sind hier in einer klassisch skulpturalen Arbeit ausgelotet, im Katalog begleitet eine Zeichnung von ebensolcher Exaktheit das Werk.
Immer noch anthropomorphe Erinnerungen: Das Gehäuse, das dünne Gehäuse, in dem ein Mensch Platz hat, ist eine Arbeit, die sie 1994 mit ihrem Bruder Manfred Grübl realisiert, der auch für das Foto posiert. Die Grenzen sind noch dünner, luzider, aber massiver, denn wer wagt es, Barrieren unsichtbarer Art zu überwinden? Wer traut sich in das Haus hinein, das nur einen einzelnen Menschen birgt und fast berichtigend Bedingungen im Sinne von Bedeutung genauso wie formale Möglichkeiten überprüft? Innere und äußere Räume sind ineinander verzahnt, spiegeln sich, und dennoch ist die Situation des Betrachters nicht eindeutig. Und vielleicht stellt sich hier auch gar nicht die Frage der Positionierung eines Betrachters bzw. Benützers, als vielmehr die einer möglichen Erwartungshaltung an ihn seitens der Künstler. Welche Rolle soll er einnehmen angesichts der Voraussetzung, daß es um allgemeingültige Modelle geht, die auch sein Reales spiegeln? Die Objekte, die leicht und leer sind, lassen ihm angeblich viel Platz. Man bekommt jedoch hier eine Ahnung, daß sie eigentlich voll sind …

Noch minimaler: Zwei Jahre davor (1992) war der Raum ausschließlich durch Fäden gekennzeichnet, einmal ist er leer, einmal finden sich dort einige „Abreiseobjekte“, deren Vorbilder einmal Koffer und Taschen waren und die ihre Fülle und Schwere nahezu verschleudern. Scharfe Kanten halten die Masse im Zaum. Von hier findet sich eine gute Parallele zu den Videoarbeiten, sowohl in einer realen oder suggerierten Veränderbarkeit von Räumen und deren Inszenierung als auch durch den hier wie dort deutlichen Diskurs einer (immer wieder weiblichen) An- und Abwesenheit. Diese ist so verdeckt wie der reale Körper nicht vorkommt. (Und dennoch: bisweilen scheinen die leeren Körper zum Bersten voll von einer weiblichen Präsenz …) Die Linie, die den Bildschirm durchquert, erinnert an ein Durchmessen des Raumes, an eben Veränderung und Bewegung. Ein Element, das in den neueren Arbeiten durch den Ton in anderer Form wieder aufgegriffen wird und eine eigene atmosphärische Präsenz erzeugt: der leere Raum und die tickende Kü­chen­uhr, die Gegenwart der tickenden Küchenuhr, obwohl bei Elisabeth Grübl die Töne konstant sind …
Ein Weniger an Objekt: Die Hocker und Bänke haben zwar einen stabilen Unterbau, die Sitzfläche jedoch ist transparenter Stoff und keineswegs zum Sitzen geeignet. Die Bestimmung gibt sich zurück, die Form bleibt gleich, irgendwo ist ein Bruch, wenn sich Außen und Innen in der Funktion widersprechen. Das Innere entspricht nicht dem Äußeren und ist diesem anders als gleichwertig zugeordnet. Diese Arbeiten sagen uns aber auch: Hier ist alles künstlich und modellhaft, auch das Regal hängt für eine mögliche Benützung zu hoch. Reale Gegebenheiten wie Möbel und Gebrauchsgegenstände werden zwar untersucht und reflektiert, aber sie sind nicht zu be­nützen. Die Leerstellen jedoch setzen Gedanken frei, die wiederum den Ort der Aufstellung einbeziehen, das Reale läßt sich im Künstlichen besser überdenken und analysieren …
1997 Galerie Zeitkunst in Kitzbühel: noch einmal scharfe Ecken, scharfe Kanten, gewichtige Linien, eine Video­arbeit. Der Galerieraum ist streng strukturiert, Altes wie Neues, die Diagonale durchmißt den Raum, der nach Koordinaten, Fixpunkten durchforstet wurde und der einer Überprüfbarkeit standhalten muß, die wie seine Rekonstruktion wirkt. Was kann die neue Struktur der umgekehrten negativen Fülle, die die Galerie quasi re­formiert, bewirken? Kann sie damit leben oder sich nur selbst ausstellen und immer wieder an sich selbst zu­rück­geben? Sind Rekonstruktionen mit Zukunft ausgestattet?
1996 schließt Elisabeth Grübl ihr Studium an der Akademie mit der Diplomarbeit ab. Hier kommt erstmals der rote Teppich vor: Ein schon vorhandener Raum wird mit einem Teppich, roten Teppich, ausgelegt, die Tür durch eine Glasscheibe verschlossen. Ein Sinusgenerator erzeugt einen leisen Dauerton von 10.000 Hz. Für den Betrachter ist der Raum abgeschlossen und nicht begehbar, er steht an der Glastür vor einer Barriere, wodurch der Raum von ihm getrennt ist. Einerseits erhält die Arbeit dadurch die Bedeutung von autonomer Skulptur, andererseits kommt die Assoziation eines Modellraums auf, der gesellschaftlich ausgegrenzt zu sein scheint. Welche Definition erhält der Raum durch seine Funktion und mögliche soziale Bedeutung? Befinden wir uns prinzipiell außerhalb, können aber durch den Ton, durch Präsenz und Volumen des Tons Teilnahme erreichen? Durch seine Frequenz, die wie ein Insistieren wirkt, kann er auch getrennte Räume verbinden. Zwei Jahre später soll er auch im ganzen Haus der Secession wirken, von oben nach unten. Im Graphischen Kabinett lokalisiert, ist an dieser Stelle außen ein Schriftzug angebracht mit einem knappen, präzisen Text: "9000 Hz".
Im Unterschied zur Diplomarbeit zwei Jahre zuvor ist der rote Teppich über drei Räume gelegt, er ist von zwei Seiten einsichtig, aber von keinem Standpunkt in seiner Gänze sichtbar. Deutlich gegenüber dem Boden erhöht (etwa 1 m), ist er nicht nur nicht begehbar, sondern ein Betreten kommt nicht in Frage, die Schwelle ist zu hoch und die Konstruktion nicht dafür ausgestattet. Unten, unter dem Teppich, ist es dunkel, oben neonhaft hell. Mit dem Ton und der Schrift sind es also vier Stellen, drei innen, eine außen, die den realen Zugang zur Arbeit ermöglichen. Gedanklich sind sie eine Einheit. Der Distanz wird durch verschiedene spektakuläre Trennungen bzw. Grenzen begegnet: der dunkle Raum, das dem Blick entzogene Ganze und der rote Teppich, der hier ein bißchen seine Geschichte ausbreitet. Ist er nicht der Ort der Repräsentation, dessen Geschichte immer eine klassische Betrachtersituation beinhaltet und ausspielt. Die Trennung zwischen dem Geschehen auf dem Teppich und dem Zuschauer ist meist mit massiven Barrieren betont. Bodenfüllend und mit einem Zeremoniell belegt, ist er ein männlicher Ort mit einem Reglement, das strikt und ohne Verzögerung vonstatten geht. Ein knapp bemessener Ort, wie hier ist er ab- bzw. ausgeschlossen. Ein Raum zwischen Reden und Schweigen. Eine Parallele sehe ich in seiner Bereitschaft für ein Ereignis, das stattfinden könnte, das die Künstlerin aber wegläßt. Gerade hier in der Ausstellung inmitten unter Menschen bleibt der Raum leer. Die Künstlerin verhindert den Zutritt zu ihrem Raum und stellt Partizipation über den Ton her. Die Dichte, Fülle und Gegenwart ordnet sie ihm zu und stattet ihn mit prallem Volumen aus. Für ihn existieren keine Grenzen, wenn er vom Zentrum her in den Raum ausströmt. Auch daß er von den anderen Räumen getrennt ist, kann ihm nichts anhaben, es ist sein Part, außen und innen für eine Verklammerung zu sorgen. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal fragen, wo der Körper, der ganz reale eigene Körper bleibt, der zwar modellhaft eingebunden, aber real abwesend ist. Kann man ihn dem Ton zu­ordnen, diesem dominierenden Volumen, das zwar auch schwerelos ist, aber eine Sprache hat, die so hoch ist, wie allenfalls die Stimme einer Frau sprechen könnte?
1 Zit. nach Dan Graham, Gordon Matta Clark, in: Sabine Breitwieser (Hsg.),  
  White Cube/Black Box, Wien 1996, S. 219.
2 vgl. Guy Debord, Die Gesellschaft des Spektakels, Berlin 1996, S. 146.