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Reiner Zettl: Only the distant hills are green
Nur die fernen Hügel sind grün, so heißt es, aber natürlich geht diese Qualität verloren, wenn man auf sie zugeht. Wir entfernen uns von den  Orten unserer Imagination in dem Maße unserer Annäherung an sie und kommen der Ferne niemals so nahe, wie sie aus der Distanz erschienen war. Wir finden, nahsichtig, Fragmente spannender als das Ganze, aber wir wissen noch von der anderen, der verborgenen Seite der Dinge hinter den Spiegeln.
Unser Gesichtsfeld zeigt uns immer nur Teile von Gegenständen, die wir jeweils vervollständigen, und es ist diese aktive Beteiligung unseres Wissens, unserer Erinnerung und unserer Neugier, die das Nicht-Offensichtliche interessant macht. Die Dinge sprechen in der Weise zu uns, wie wir sie selbst etablieren und damit erkennen.
Manche Lebewesen reagieren nur auf Bewegung, d.h. Veränderung, entweder der Form oder der Position eines nun erst als solches wahrnehmbaren Objekts. Bewegung bietet eine Art von sequentieller Vielansichtigkeit. Die Information des einzelnen Eindrucks ist dabei nicht so wichtig wie das Phänomen, das daraus entsteht. Wer jemals an einem enggefügten Lattenzaun oder einer dichten Hecke entlangging und sehen wollte, was sich dahinter verbarg, tat gut daran, sich dem Fluss der wechselnden Eindrücke zu überlassen ohne zu versuchen, den Blick fixierend, stehen zu bleiben.
Die aus ihrer Erscheinung rekonstruierten Objekte sind jeweils auch Gegenstände unserer Kognition, allerdings ist dieser Zusammenhang nur graduell manifest und nicht immer gleich deutlich. Das analoge Ziffernblatt einer Uhr zeigt ein radial organisiertes Feld mit im Normalfall 2 oder 3 Zeigern, der Gegenstand aber ist nicht die Uhr selbst, sondern die Zeit. Das materielle Objekt ist dem Gegenstand im Falle einer Bahnhofsuhr deutlich nachgeordnet, und die Beziehung zwischen den beiden Polen ist der jeweiligen Kultur oder dem Entwicklungsstadium einer Zivilisation spezifisch. Der Prozess der Luxurierung, eine Bewegung analog dem biologischen Alterungsprozess, verschiebt nach Auffassung klassischer Kunsttheorie das Schwergewicht in jedem Entwicklungszyklus allmählich auf die Seite des materiellen Objekts, bis es zu neuen Versuchen kommt, sich den Gegenständen hinter den Erscheinungen wieder zu nähern.
Eine Tasse definiert sich durch ihre Leere, und ebenso wie hier, wo das für die Funktion relevante Merkmal eigentlich nicht vorhanden ist, steht im Zentrum architektonischen Denkens der Raum, der, von der materiellen Welt her gedacht, ebenso nur negativ gefasst werden kann. Der Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts kommt das Verdienst zu, den Raum erfunden zu haben: den abstrakten Gegenstand hinter der irreführenden Üppigkeit materieller Oberflächen.
Man konnte Elisabeth Grübls Installation 10.000 Hz, den Raum ihres Diploms, nicht betreten. Auf diese Weise blieb er abstrakt als solcher erhalten, und seine Energie aus Farbe und Ton substituierten, was dem Betrachter nicht gestattet war. Eine Form von Definition der Qualitäten eines Ortes durch Negation und Verschiebung und vielleicht eine Möglichkeit, in fortschreitender Annäherung zu verharren, ohne das Phänomen dabei zu verlieren.
Ihre Arbeit Scan zeigt immer nur Teile von jeweils wechselnden Gesichtern. Wir laufen keinen Zaun entlang, sondern ein Bildstreifen bewegt sich über einen Monitor und paraphrasiert auf diese Weise auch den Kathodenstrahl der Bildröhre. Die Objekte erscheinen, lassen sich aber nicht eindeutig fixieren und geben den Gegenstand frei: die Flüchtigkeit unserer Eindrücke, den Fluss der Erscheinungen. Dabei stellt sich die Frage: woran erinnern wir uns schließlich, an die Gesichter, die sich doch nicht ganz zur Identität schließen lassen, oder an den spezifischen Raum, der aus der Bewegung des Sehschlitzes resultiert?
Es gibt eine Form von Ballett, das die Körperbewegung und die Musik vollkommen dissoziiert. Beide, Musik und Bewegung, folgen ihrem eigenen Plan, treffen jedoch in einem Kontext aufeinander, der uns eine Verbindung fast zwingend suchen und wahrscheinlich für kurze Momente auch immer wieder finden lässt. Der schwarze Streifen auf den 3 Monitoren vor den DJs in der Viennese Lounge von Elisabeth und Manfred Grübl reagiert in gleicher Weise nicht auf die Musik, die in seiner unmittelbaren Umgebung erzeugt wird. Er verbleibt in seinem eigenen Raum, misst ihn ab und gibt ihm dadurch seine Dimensionen.
Während wir Geruch und Geschmack als Träger tiefer Erinnerung ausmachen, vermitteln uns auditive Phänomene den Zusammenhang mit der Umwelt. Ambient meint eine Umgebung, die uns ständig, ohne dass uns das immer bewusst wäre, durchdringt. Die Töne, die Elisabeth Grübl in verschiedenen Arbeiten verwendet, sind teilweise jenseits der Hörschwelle angesiedelt. 7.000, 9.000 oder 20.000 Hz sind nicht eindeutig lokalisierbare auditive Phänomene, deren abstrakte Präzision sich einer harmonisierenden Einbettung in Ortsbeziehungen verweigert.
Es ist eine Form von flüchtigem „Primary Object“, die uns bei Elisabeth Grübl in verschiedenen Ausprägungen entgegentritt. Das schwarze Quadrat in dem Video ohne Titel (gemeinsam mit Manfred Grübl) verändert ständig sowohl Proportion, als auch Dimension und Position, verschwindet und taucht an anderer Stelle wieder auf und fordert heraus, den Raum oder Gegenstand, der hier erscheint, zu rekonstruieren. Denn man wird sich bei all den Anspielungen auf die drei Dimensionen nicht mit der Logik der Fläche allein zufrieden geben. In der Untersuchung unserer Wahrnehmung durch Dekonstruktion und Rekombination der Elemente manifestieren sich in ihren Arbeiten Räume und Gegenstände, deren Faktizität verdeckt, wie rätselhaft sie sind. Denn ihre Situierung verlangt mehr, als nur zu verstehen, wie sie gemacht sind oder funktionieren.