english
Elisabeth Schlebrügge: Elisabeth Grübl räumt auf
Die Künstlerin fackelt nicht lange; entschlossen betritt sie den Raum, schaut sich um und greift zu; rückt Sessel von den Wänden; schiebt den Arbeitstisch in die Mitte; löst  Bilder vom Haken; hängt den Kalender ab; stapelt  Zeichenrollen und Videokassetten; schüttet Bleistifte auf ein Häufchen; schubst die Mausefalle aus der Ecke; stülpt den Papierkorb um. 
Wie die Dinge, aus dem Lot geraten, dem gewohnten Gebrauch entzogen, sich fügen werden; den Quader, den Würfel zusammensetzen; die Transformation zur Skulptur stattfinden wird. Nachdenken und Ausprobieren, Stapeln und Umschichten („im Schweiße ihres Angesichts“), bis es sich lösen läßt, das Rätsel, ein Sudoku im Raum, eckiges Ei des Columbus.
Als wären alle Gegenstände auf ein Händeklatschen von selbst in ihre neue Ordnung gesprungen.
Kondensiert zu einer temporären Plastik das, was gerade noch den Arbeitsraum eines Künstlers ausgemacht hat; ephemere Konfiguration, lediglich ein Foto wird daran erinnern. Verdichtung als ein Schlüsselprinzip in Elisabeth Grübls  Arbeit, aber im Unterschied zur Traumarbeit geht es nicht um Verschlüsselung von Bedeutung (die unter der Zensur durchgeschleust werden soll), sondern um Aufhebung von Sinn. Ein quasi-dadaistischer Akt, der aber (anders als der ausufernde  Merz-Bau, für den der Plafond zum nächsten Stockwerk durchgebrochen wurde) der Vorgabe des begrenzenden Formats unterliegt. Mit der Spielregel, daß nichts weggelassen und nichts hinzugefügt werden darf, sein Auslangen finden, mit allem, was sich im Raum, am Ort befindet, für jedes Ding seinen Platz, geschichtet und geschlichtet: über die Elemente verfügt, ohne hierarchische Ordnung untereinander, bei größtmöglicher Eliminierung der Zwischenräume, wie die Scheiter, in der Holzlage, an der Schuppenwand.
Als würde Elisabeth Grübl dem Auseinanderstreben der Teile entgegenwirken, in einer Umkehr der Gesetze der Entropie, auf ihre Implosion hinarbeiten. In einem gebändigten Willkürakt einen Übergangsraum, eine Übergangsskulptur entstehen lassen: Nichtsnutzskulptur und Traktat über die Form, Lehre der Bildhauerin.
Eine Umkehrbewegung, ein Vexierbild hergestellt, Kippfigur.
Atempause, ein Moment, in dem der Raum in die Zeit umschlägt: ausgedehnte Gegenwart, in der nichts stattfindet. Wenn die Skulptur einmal vollendet ist, augenzwinkerndes Moratorium der kreativen Arbeit.
Jemand, der sein Atelier zur Verfügung stellt; Vertrauensverhältnis zwischen den Künstlern vorausgesetzt, auf daß der Umbau, auch wenn er ein vorübergehender ist, nicht als, Attacke, als aggressiver Akt empfunden werde; sondern vielleicht als Neuordnung, Befreiung, Es-Auch-So-Sehen-Können.
Auflösung der eingeschliffenen Kausalitäten, liebgewordenen Konventionen, nicht mehr hinterfragten Bewegungsabläufen und Gewohnheiten.
Dennoch ungewiß, wie die Atelierbesitzerin/ der Atelierbesitzer reagieren wird, vor das fait accomplì gestellt: ob ihr/ihm der Atem stocken wird; Szenen aus Hollywoodkomödien vor Augen, wo der Protagonist tränenden Auges dem Kranarm nachblickt, der sein rotes Lieblingskabriolett, zu einem kompakten Blechwürfel gepreßt, auf die Müllhalde schwenkt; oder ob die Gastgeberkünstlerin/der -künstler achselzuckend auf der Schwelle kehrt macht und, befreit von der Tagesfron, den Schritt ins nächste Kaffeehaus lenkt.
Prekäre Intervention: das Atelier immerhin, niemals beliebiger Ort, sondern, seit Leonardos Zeiten, das Künstler-Heiligtum, das Innerste, die cella, hochbesetzter Raum, Hülle für die Konzentration (ob mehlbestaubt, ob seidengewandet und die Laute schlagend, in allen erdenklichen Ausstattungen zwischen Denk-Raum, Werkstatt, Cybercentrale), alles Materielle den Bedürfnissen der geistigen Arbeit untergeordnet, unerläßlicher Aufenthaltsort, an dem ausgeharrt werden muß, auch wenn nichts sich ereignet, wie es etwa Bruce Nauman beschreibt: „Leider gibt es aber immer wieder lange Phasen, in denen ich nichts machen kann, weil mir nichts einfällt… Und so gehe ich jeden Tag ins Atelier, und sei es nur, um zu lesen oder ein Nickerchen zu machen. Hauptsache, ich bin da. Sonst, das weiß ich, kommen die Dinge nicht voran.“ 1)
Was passieren wird, wenn den Gegenständen die Verfügbarkeit geraubt, der letzte Rest von Brauchbarkeit herausgepreßt wird und in der Skulptur verschwindet. So wie „Zusammenräumen“  im österreichischen Sprachraum synonym für „aufräumen“ verwendet wird.
Ob  später Spuren bleiben werden, im Unsichtbaren.
Ob die leeren Wände nachwirken werden, ob der Raum neu entstehen wird, wenn er neu gesehen wird, und mit ihm das Bewußtsein der Künstlerexistenz, des Künstlerkörpers, dessen Korrelat und Hohlform das Atelier immer ist.
Ob es die Profanierung eines mythischen Orts gewesen sein wird, die Entzauberung der Werkzeuge in der Reduktion auf ihre bloße Gegenständlichkeit; oder auch eine Verrückung, die etwas freisetzt, nicht nur Raum, der rundherum entsteht, sondern ein Lösen aus den festgefügten Verankerungen, eine Freisetzung der Beweglichkeit der Dinge, eine mögliche neue Anordnung im Visier, Kippbilder dessen, was man zu sehen nur allzu gewohnt ist und gar nicht mehr sieht.
Eine rückläufige Bewegung in dieser ironischen Spielart der Appropriation Art: eine Dekonstruktion des Wegs, der einstmals die Kunstdefinition von den Substanzen, von den Kostbarkeiten und Gewichten der verwendeten Materialien zum Entwurf, zum disegno, zum concetto als Kriterium der Bewertung dessen, was die Essenz eines Kunstwerks sein kann, geführt hat.
Bildhauerische Reflexion, exemplarisch: auch in Nicht-Atelierbesitzern Überlegungen freigesetzt zum eigenen Eingerichtet-Sein in Räumen und zum Verhältnis zu den Dingen generell; ein Coup, verstörend für die Ordnungsliebenden wie für die Chaoten; gleich, ob man zu denen gehört, die mit den Inhalt ihrer Handtasche in Sekundenschnelle ein wohlaufgeräumtes Hotelzimmer in einen Ort der Verwüstung verwandeln können, oder zu denen, die die Kontrolle über die Anzahl der Gegenstände im Haus bewahren, (jeder Neuanschaffung geht ein Hinauswurf voraus); gezwungen, Rechenschaft abzulegen über eigene Zenklosterphantasien und Rumpelkammerrealitäten.
In Elisabeth Grübls „zusammengeräumten“ Räumen: eine Schonfrist für die Dinge, eine ausgesetzte Entscheidung, welchen Richtlinien zu folgen ist, welchen Anordungsprinzipien zwischen komprimiert und disseminiert, Ausstattung zwischen Kargheit, eleganter Askese oder überbordender Fülle, Überfluß. Die Domptur der Dinge, Verzichten, Sich- Trennen oder Anhäufen von Gegenständen, die man vielleicht noch einmal wird brauchen können, Stofffleckerl für Kinderfaschingskostüme; alte Zeitungsausrisse; oder, Tribut an die Ängste früherer Generationen, ein Vorrat an vergessenen Konservendosen aus den fünfziger Jahren, die jahrelang noch mit dumpfen Knall explodieren werden.
1) Bruce Nauman im Gespräch mit Hanno Rauterberg, Die Zeit, 14. 10. 2004