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Elisabeth Schlebrügge: Evidenz im Unsichtbaren
Würde die Bildhauerkunst wie zur Zeit von Albertis Traktat „De Scultura“ sich immer noch über die zwei Modalitäten des Hinzufügens und des Wegnehmens definieren, wäre die Wahl für Elisabeth Grübl eindeutig: seit jeher hat sie sich für das Wegnehmen entschieden, für das Ausdünnen, das Reduzieren, das Zurücknehmen an die Ränder der Sichtbarkeit, die Farbe Weiß als erster Werkstoff.
Räume werden durch Licht und Schatten definiert; Skulpturen auf eine Fadenumspannung reduziert; Laserlinien tasten eine Wand ab; Schwingungen, Töne, zum Teil jenseits der Wahrnehmungsgrenze, im Raum placiert; blaue Lichtstreifen gleiten auf dem profanen Medium nächtlicher Busse durch die Stadt; Räume werden unzugänglich, unbetretbar gemacht, der Betrachter zurückgewiesen, seine Reaktionen gelegentlich nach dem Zufallsprinzip registriert, Versuchsanordnungen, Forscherinnenkalkül statt Geniekult und Künstleridylle. Und immer Zerreißproben, die Frage, was noch weggenommen werden kann, mit angehaltenem Atem, daß es gerade noch trägt.
Was immer an Symbolen, Fragmenten von Geschichten, Bildern, Metaphern sich anlagert, wird akribisch entfernt, abgelöst, herauspräpariert, mit dem Stanleymesser abgeschabt. Ihr Zurücknehmen hat keine poetische Zweideutigkeit im Sinn, nichts Atmosphärisches, keine wolkigen Ränder, kein heller Nebel, unter dem die Konturen als gesichert erscheinen; ohne Relationen der Unschärfe.
Für ihre Diplomarbeit an der Bildhauerklasse der Akademie der Bildenden Künste hat sie einen Ton in dem ausgeräumten Atelier placiert, der Betrachter sieht durch die dicke Glasscheibe nur den leeren Raum, mit einem roten Teppich ausgelegt, und ist damit konfrontiert, daß er, im Verzicht auf visuelle Opulenz, andere Sensorien seiner Wahrnehmungsfähigkeit mobilisieren muß. Es ist das Nicht-Sichtbare und das Ungesehene, was die Künstlerin Elisabeth Grübl interessiert, an dem entlang sie arbeitet; für dessen Vorhandensein, dessen Präsenz eine Form gesucht wird.
Aber auch der Umgang mit diesem Unsichtbaren ist so konzipiert, daß er jede Verführung mit Vehemenz zurückweist. Wenn quasi eine Hülle geschaffen wird für das, was außer dem konventionell Wahrgenommenen als gegenwärtig gedacht werden muß, schließt das nicht an Traditionen esoterischen Geisterbeschwörens und Tischerückens an; die Konzentration und Kondensation ihrer Arbeit schafft Raum für Unbegreifliches und Unbegriffenes. Ihre Arbeiten stiften nicht Sinn, sie verweisen vielmehr auf die Bruchstellen, an denen die gewohnte Interpretation der Welt aus dem Ruder läuft, das Unvorhergesehene, längst Vorhandene und Nicht-Beachtete das festgefügte Koordinatensystem in sich zusammenfallen läßt. Die Frage nach dem Unsichtbaren gestellt, auf eine Weise, die keine Hierarchie zwischen Signifiziertem und Nicht-Signifiziertem einführt; der Betrachter kann seine Reflexionen und Erfahrungen einsetzen, „einpassen“: Einbrüche „aus heiterem Himmel“, aus dem Blinden Fleck in bisher gesichert scheinende Annahmen; das, was mit Heftigkeit an Unverstandenem zutagetritt wie auf der Kleistschen Bühne der Empfindungen zwischen Gewißheit und Zweifel; die Konfrontation mit den Erscheinungen des Unbewußten der Psychoanalyse in Alltag und Kur, Versprechen und Verhören und Symptombildung und Traum.
Nichts, das verbindlich auf etwas verweist; ihre Hohlformen sind der äußersten Abstraktion verpflichtet, sie legen keine Assoziationsfelder aus und konstituieren sich nicht als Erinnerungsraum. Eher schon als Vergessensraum, wo auch das Platz findet, was nicht mehr zugänglich, nicht rückübersetzbar, auf immer verschwunden scheint, Bereiche jenseits des Sinns, das dem Gedächtnis auf immer Verlorene, oder der weiße Raum zwischen den Buchstaben, nachdem diese sich in der Lektüre abgelöst haben.