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Das Studio als Raumskulptur und konzeptuelle Fotografie
„Ausgangspunkt dieser Arbeit sind Ateliers von Künstlerinnen. Alles was sich im Raum befindet, dass heißt Kunstwerke, Materialien und Möbel, werden zu einem Quader verdichtet. Wenn am Ende alles zu dieser Form von Skulptur gestapelt wurde, ist der gesamte Arbeitsraum bis auf den Quader leer, es zeigt sich eine völlig veränderte Raumsituation. Als Resultat aus diesem Prozess entsteht jeweils eine frontale Fotoaufnahme.“
Die Methode ist nachvollziehbar, die Strategie gestaltet sich komplex: In Ateliers und Studios anderer Künstlerinnen und Künstler realisiert Elisabeth Grübl mit deren Materialien, Werkzeugen, Alltagsgegenständen, mit allen im Studio vorgefundenen Dingen sowie mit den Kunstwerken, die im Atelier gelagert oder in Produktion sind, einen Quader mitten im Raum. Das verfolgte Konzept variiert je nach Raumsituation. Jeder im Raum befindliche Gegenstand wird konsequent in die Stapelung und je nach physikalischen Eigenschaften in den skulpturalen Quader integriert. Die Textur des Gebrauchs der Dinge weicht einem reduzierten und präzise vorgehenden gestalterischen Konzept, das die Nuancen und Konturierungen zu einem Quader zusammenfügt. Weiterhin korrespondieren die Gegenstände auf einer abstrakten, ihrer Funktion entzogenen Ebene miteinander, und bilden Angriffsflächen für Projektionen und Imaginationen.
In Elisabeth Grübls künstlerischer Praxis sind visuelle und räumliche Parameter der Wahrnehmung oft eng aufeinander bezogen. Sie ist eine Raumdenkerin: Ihre Konstruktion des skulpturalen Quaders vollzieht sich parallel zur Destruktion der vorgefundenen Syntax des Studios als Produktions- und Lebensraum. Mit dem Mitteln der Überwindung, Aufhebung und Abstraktion proklamiert sie durch die Setzung ihres Quaders das Konkrete im Raum, das, ins Medium der konzeptuellen Fotografie übersetzt, als Frontansicht eine strukturelle Entschiedenheit demonstriert. Während in den Anfängen der Studioserie sich die im Raum befindlichen Gegenstände an der Wand stapelten, baut sie später einen mitten im Raum oder an der Wand stehenden Quader. Die Relationen zwischen Raum und Objekten erfahren durch diese Gegenüberstellung von Leere und Verdichtung eine Intensivierung. Die Phänomenologien minimalistischer Projekte werden damit um den Aspekt einer Materialsprache erweitert, die sich aus der Studiosituation ableitet. Mit dem Quader hinterfragt Elisabeth Grübl eine Grundfigur moderner Rationalität. Doch ihr Quader ist nicht hermetisch in sich geschlossen, lässt Möglichkeiten für ein Denken der Differenz offen
Um die Erfahrung zu beschreiben, wie es ist, einen Raum zu betreten, der zur skulpturalen Installation geworden ist, fällt mir kein besserer Vergleich ein als jener den Bruchteil eines Augenblicks andauernde Zustand, in flüchtigen Momenten gewohnter Wahrnehmungsabläufe plötzlich in völliger Konzentration zu verweilen. Man wird Zeuge einer Verdichtung im raumzeitlichen Kontinuum der sensorischen Wahrnehmung. Die Faszination geht von einer körperlichen Wahrnehmung aus, die Vernunft gewinnt schnell die Kontrolle zurück. In den Skulpturen der Studios kehren sich die räumlichen Koordinaten um und lassen uns für einen Augenblick den Raum intensiv spüren.
Laut Brian O’Dohertys 1976 erschienenem, legendärem Essay „Inside the White Cube“ ist der White Cube die einzige bedeutende Konvention des Kunstlebens. Eine Ansicht, die sich als überholt erweist, wie Elisabeth Grübl durch ihre Raumskulpturen zeigt. Die Zelle der Galerie und des Museums rückte in ihren Werkzyklen wiederholt ins Zentrum ihrer künstlerischen Aufmerksamkeit. Und zwar in mehrfacher Hinsicht als Interventionen, die die damit verbundenen Ausstellungskonventionen oder deren gesellschaftliche Funktion auf den Kopf stellte. Jede Erfahrung eines Kunstwerks hängt zusammen mit seinem Ambiente, mit dem Ort seiner Realisierung. In ihren Skulpturen nimmt Elisabeth Grübl eine Verschränkung im buchstäblichen Sinn vor: Sie wählt das Studio anderer Künstlerinnen und Künstler und damit jenen anderen Ort, der für die Öffentlichkeit meist unzugänglich und für künstlerische Eingriffe anderer tabu ist. Hier realisiert sie eine ortspezifische Arbeit, die gleichzeitig im doppelten Sinn auf den Kontext einer Raumdefinition verweist. Dafür ist zunächst ein phänomenologischer Raumbegriff zutreffend, dem zufolge der Raum dem Ort nicht vorgängig ist, wovon der mathematisch-physikalische Raumbegriff ausging, sondern sich umgekehrt erst durch den Ort erschließt, der den Dingen in der Praxis eine Lebensform zukommen lässt. Dieser durch die Dinge lebensweltlich eingeräumte Raum ist ein von Bedeutung durchzogener Raum, der zu einer jeweiligen Welt gehört. Die Zweideutigkeit liegt im Begriff des Einräumens, der sich als Hinweis auf eine Eigenart der Kunst gegenüber den gewöhnlichen Dingen verstehen lässt. Die Skulpturen korrespondieren mit der Umgebung, mit dem Umraum, insofern als es die Gegenstände im Raum sind, die der Produktion zugrunde liegen, und keine Unterscheidung zwischen Gebrauchsdingen und Kunstwerken getroffen wird, sondern eine Übereinkunft der Vertrautheit und des Vertrauens sich einstellt. Das Darstellungspotenzial der Skulptur hängt von den vorgefundenen Gegenständen ab. Die daraus resultierenden Raumskulpturen folgen nicht der Logik, dass die künstlerische Arbeit die Umgebung semantisch auflädt, sondern dass durch diese ein anderer Kontext produziert wird, der gleichzeitig auf ein Strukturelement von Kunst aufmerksam macht. Durch dieses Moment wird das kritische Potenzial ortspezifischer Kunst nicht geleugnet, sondern erhält eine präzisere Bestimmung und Definition. Gleichzeitig wird, im Sinne des französischen Poststrukturalisten Jacques Derrida, durch das weitere Einbeziehen der Fotografie eine verflochtene Korrespondenz zwischen Werk und Betrachter in Gang gesetzt. Einer Homogenisierung des Raumes als Kubus tritt hier ein „differentieller“ Raum gegenüber. Als „differentieller“ Raum behält die Raumskulptur Eigenheiten bei, die nicht durch den Filter des homogenen Raums gegangen wären. Gleichzeitig entwirft Elisabeth Grübl so ein differenziertes Netz von Beziehungen, die einen Raum im Inneren und im Verhältnis zum Außen ausmachen können.
Gewöhnlich bilden Künstlerateliers Manifeste der eigenen künstlerischen Produktion oder dienen, sobald sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, als Instrument der eigenen Selbstinszenierung. Im Unterschied zum Ausstellungsraum eines White Cube ist das Atelier niemals ein neutraler Präsentationsort, sondern vorwiegend Produktions- und Denkraum. In der Funktion einer Visitenkarte verwendete einst Gustave Courbet das Atelierfoto, Bruce Naumann nahm ein „Mapping the Studio“ vor, indem er sein Atelier zu verschiedenen Tageszeiten mit der Videokamera filmte. 1998 listete Bruce Naumann akribisch die Materialansammlungen im Atelier auf, von Kaffeetassen über Pinsel, Papier, Videokassetten bis zum Sattelzeug. Elisabeth Grübls Projekt hat allerdings nicht den Charakter einer Enthüllungsgeschichte. Gegenüber der Auffassung vom Atelier als Ort des kreativen Schaffens, als Rückzugsort oder als auratischem, mit Mythen und Genievorstellungen besetztem Raum gelingt es ihr, einen bis dato in der Atelierfrage vernachlässigten Diskurs einzubringen. Was passiert, wenn das Atelier als Raumskulptur zum zentralen Thema wird? Dieser Blick in das Studio operiert mit bestimmten räumlichen und zeitlichen Vorgaben und offenbart dessen Grenzen. Die temporären Installationen können betreten werden, und im Medium der Fotografie dauern sie fort. Der genauere Blick der stringenten Frontalaufnahme verweist auf weitere Fragen und Referenzen. Wie lassen sich Skulptur und Raum anders denken? Wie lässt sich in der Übertragung auf die konzeptuelle Fotografie Skulptur denken? Die konzeptuellen Fotografien von Elisabeth Grübl zeichnen sich durch einen interventionistischen Umgang in der Codierung spezifischer künstlerischer Verfahren mit ästhetischen Medien, Materialien und Traditionen der konzeptuellen und minimalistischen Skulptur aus. Ihr künstlerisches Verfahren, alle im Studio vorgefundenen Gegenstände und Kunstwerke der jeweiligen Künstlerin oder des Künstlers zu stapeln, folgt einer Abstraktion in der Gestaltung und integriert Fragen der Originalität und Autorschaft. Denn auf den ursprünglichen Zustand des Ateliers können am Ende kaum noch Rückschlüsse gezogen werden. Elisabeth Grübl entwickelt damit eine raumspezifische Form der Kunstproduktion, die üblichen Re-Präsentationsformen gegenüber einen Transfer und damit eine Verschiebung unserer Rezeptionsmuster vornimmt.
Daraus ableiten ließe sich, im Sinne des Raumtheoretikers Henri Lefebvre, dass Elisabeth Grübl dem Begriff des sozialen Raums durch die Komplexität ihres Quaders eine formale Verdichtung gegenüberstellt. Anders als Raumkonzeptionen, die zu einem System verbaler oder konzeptuell geformter Zeichen tendieren, produziert sie einen skulpturalen Körper, der nun die Beziehungsgeflechte im Raum neu definiert. Und gleichzeitig, durch seine Ableitung aus dem Gelebten, Wahrgenommen und Konzipierten, entsprechende Impulse und Resonanzeffekte auslöst. Geläufigen KünstlerInnenporträts entsprechend, schafft Elisabeth Grübl das Porträt einer Studiosituation. Mit ihrer Studioserie, die sie während ihrer Aufenthalte in Frankfurt und Shanghai, aber auch in Wien realisiert hat, schuf sie gleichzeitig individuelle Porträts der KünstlerInnen. Die allerdings selbst in den frontalen Aufnahmen abwesend sind.